Was ist eine formelle Beteiligung?
Die formelle Bürger:innenbeteiligung bezeichnet gesetzlich vorgeschriebene Beteiligungen der Bürger:innen bei bestimmten Entscheidungsverfahren der Stadt. Formelle Beteiligungen gibt es auf allen staatlichen Ebenen, so auch auf der kommunalen Ebene in der Stadt Wolfsburg.
Bau- und Planungsrecht
Durch das Bau- und Planungsrecht ist Wolfsburg zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung und öffentlichen Auslegung von Bauplänen verpflichtet. In Paragraph 3 des Baugesetzbuches, dem wichtigsten Gesetz des Bauplanungsrechts in Deutschland, heißt es dazu: »Die Bürger sind möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung eines Geländes in Betracht kommen, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten; ihnen ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben.« Wenn vor Ort ein neues Bauvorhaben geplant wird, muss die Öffentlichkeit also informiert und den Bürger:innen die Möglichkeit der Anhörung eingeräumt werden. Erst nach diesem Schritt darf das Vorhaben von der Stadt weiterverfolgt und konkretisiert werden. Die beschlussreife Form muss anschließend erneut öffentlich ausgelegt und den Bürger:innen vier Wochen Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben werden. Erst dann darf das Kommunalparlament, in diesem Fall der Rat der Stadt Wolfsburg, den Beschluss fassen.
Bürger:innenbegehren und -entscheid
Das Bürger:innenbegehren ist ein Instrument aus dem Bereich der direkten Demokratie auf der kommunalen Ebene. Wie fast alle direktdemokratischen Verfahren besteht es aus zwei unterschiedlichen Schritten. Das Bürger:innenbegehren ist der erste Schritt und dient als Antrag auf die Durchführung eines Bürger:innenentscheids. Für den Erfolg des Bürger:innenbegehrens ist das Erreichen einer bestimmten Anzahl von Unterstützer:innen nötig. Unterstützer:innen können alle wahlberechtigten Bürger:innen sein, die den Antrag unterzeichnen. Ist ein gewisses Unterschriftenquorum erreicht, gilt das Verfahren als erfolgreich und der Bürger:innenentscheid wird durchgeführt. In Niedersachen beträgt dieses Quorum fünf bis zehn Prozent. Bei Erfolg muss die Stadt den Bürger:innenentscheid innerhalb von sechs Monaten durchführen. Es kann jedoch nicht zu allen Fragen und Themen ein Bürger:innenbegehren gestellt werden. Themen wie die Haushaltssatzung, Abgaben und Entgelte sowie die Bauleitplanung sind ausgenommen.
Einwohner:innenfragestunde
Durch die sogenannte Einwohner:innenfragestunde haben Bürger:innen die Möglichkeit, in unterschiedlichen Gremien der Stadt Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten. Laut Niedersächsischem Kommunalverwaltungsrecht sind Einwohner:innenfragestunden optional – Wolfsburg hat sich aber durch die „Geschäftsordnung für den Rat, den Verwaltungsausschuss, die Ausschüsse und Ortsräte der Stadt Wolfsburg“ dazu bekannt, bei allen öffentlichen Sitzungen dieser Gremien Einwohner:innenfragestunden durchzuführen. Dazu wird auf der Tagesordnung jeder Sitzung bis zu 30 Minuten Zeit eingeräumt.
Wahlen
Das wohl bekannteste Element aus dem Pool formeller Beteiligungsmöglichkeiten sind Wahlen. Wahlen sind das Kernelement unserer Demokratie und finden in regelmäßigen Abständen auf unterschiedlichen Ebenen statt, um die Vertreter:innen des Volkes zu bestimmen. Dieses Jahr ist ein sogenanntes Superwahljahr, da besonders viele Wahlen anstehen. Die wahlberechtigten Bürger:innen Niedersachsens können dieses Jahr an der Bundestagswahl und der Kommunalwahl teilnehmen, in welcher die Kreistage, Regionsversammlungen, Städte-, Gemeinde- und Samtgemeinderäte, Stadtbezirksräte, Ortsräte, einige Landrät:innen und Bürgermeister:innen gewählt werden. In Wolfsburg werden am 12. September 2021 die 46 Mitglieder des Rates und die 16 Ortsräte sowie der:die neue Oberbürgermeister:in gewählt.
Was ist eine informelle Beteiligung?
Die informelle Beteiligung bezeichnet alle Formate der Bürger:innenbeteiligung, die gesetzlich nicht vorgeschrieben sind. Informelle Beteiligungen resultieren aus dem Wunsch, die Bürger:innen stärker in politische Prozesse und Entscheidungen einzubeziehen. Dazu gibt es unterschiedliche Formate und Methoden, die von einer einfachen Information der Bürger:innen oder dem Einholen von Feedback zu geplanten Vorhaben bis hin zu längerfristigen Austausch- und Diskursformaten oder sogar der Entscheidungsübertragung reichen können. Im Folgenden werden unterschiedliche Formate vorgestellt.
Architekt:innenwettbewerb
Zu einem städtischen Vorhaben, wie der Neugestaltung eines Parks oder dem Bau eines Gebäudes können verschiedene Architekt:innen ihre Ideen einreichen, um sich für die Umsetzung des Vorhabens mit ihrem Entwurf zu bewerben. Die eingereichten Entwürfe stehen im Wettbewerb. Nach der Einreichungsphase folgt die Bewertung der eingereichten Vorschläge. Neben einer ausgewählten Jury können auch Bürger:innen an der Bewertung teilnehmen. Der beste Vorschlag gewinnt und wird anschließend umgesetzt.
Befragung
Bürger:innen werden durch eine anonym durchgeführte Befragung zu bestimmten Vorhaben, Fragestellungen oder Entscheidungen der Verwaltung konsultiert. Die Ergebnisse der Befragung fließen anschließend in den weiteren Planungs- und Umsetzungsprozess ein.
Bürger:innenausschuss
Ein Bürger:innenausschuss ist eine gewählte Vertretung der Bürger:innenschaft. Er ist der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat wie ein Beirat zur Seite gestellt. Die ehrenamtlichen Mitglieder vertreten bspw. die Belange ihrer jeweiligen Stadtteile.
Bürger:innenforum/-rat/-versammlung, Gutachten und Planungszelle
Bürger:innenforum, Bürger:innenrat, Bürger:innenversammlung und Planungszelle bezeichnen alle eine per Zufallsprinzip ausgewählte Kommission bestehend aus Bürger:innen. Sie steht der Politik beratend zur Seite, indem sie Entscheidungshilfen zu bestimmten Fragestellungen erarbeitet und in einem Bürger:innengutachten für Politik und Öffentlichkeit zusammenfasst. Das Ziel dieses Formats ist es, durch die zufällige Zusammensetzung der Teilnehmer:innen die öffentliche Meinung zu bündeln und die Bürger:innen bei der Lösung dringender Problemstellungen einzubeziehen. Expert:innen werden hingegen nur bei Bedarf hinzugezogen.
Bürger:innengutachten
Das Bürger:innengutachten steht am Ende des Bürger:inneforums (bzw. Bürger:innenrats, der Bürger:innenversammlung oder der Planungszelle) und fasst die Ergebnisse als Beratungsunterlage für Politik und Öffentlichkeit zusammen.
Bürger:innenhaushalt
Wofür soll Wolfsburg Geld ausgeben? Beim Bürger:innenhaushalt entscheiden die Bürger:innen! Der Bürger:innenhaushalt – oder auch partizipativer bzw. Beteiligungshaushalt ist ein weiteres Beispiel für ein direktdemokratisches Beteiligungselement auf kommunaler Ebene. Hier lässt die Verwaltung die Bürger:innen über eine festgelegte Summe des Haushalts mitbestimmen und entscheiden. Wofür ihr Topf ausgegeben wird, beraten die Bürger:innen selbstständig. Der Verwaltung kommt lediglich eine moderierende und beratende Rolle zu. Idealerweise gibt es drei unterschiedliche Phasen: 1. Die Informationsphase, in der die Stadt ihre Bürger:innen umfassend über den Haushalt informiert, 2. Die Konsultationsphase, in welcher die Bürger:innen ihre Meinungen in einem offenen Plenum oder auch in schriftlichen Befragungen äußern und schließlich 3. Die Rechenschaftsphase, in der die Politik den Bürger:innen erklärt und begründet, welche Anregungen aufgenommen und umgesetzt werden und welche nicht.
Bürger:innenkonferenz
Bei einer Bürger:innenkonferenz oder auch Konsensuskonferenz wird eine speziell ausgewählte und heterogen zusammengesetzten Gruppen aus Bürger:innen gebildet, die in einem intensivem Dialog und gemeinsam mit Expert:innen Antworten auf politisch oder gesellschaftlich besonders kontrovers diskutierte Fragen erarbeiten soll. Das Ziel des Formats ist es also, Wissenschaft und Praxis miteinander ins Gespräch zu bringen um die besten Lösungen für alle Beteiligten zu finden. In der Regel besteht die Gruppe aus rund zehn bis 30 Bürger:innen, die sich anhand von diversen Informationsunterlagen in die Thematik einarbeiten und zu vorbereitenden Sitzungen treffen. Die eigentliche Konferenz findet dann regulär an drei aufeinanderfolgenden Tagen statt, bei denen 1. Den Bürger:innen das Thema umfassend durch Sachverständige dargestellt wird, 2. Die Thematik intensiv diskutiert wird und 3. Ein Bürger:innengutachten erstellt wird. Dieses enthält die im Konsensprinzip erstellten Stellungnahmen, Empfehlungen und Begründungen und wird anschließend den Entscheidungsträger:innen vorgelegt. Das Konsensusverfahren findet komplett in der Öffentlichkeit statt.
Bürger:innenpanel
Das Bürger:innenpanel ist eine regelmäßig, drei- bis viermal jährlich stattfindende, repräsentative Befragung ausgewählter Bürger:innen. Sie kann zu unterschiedlichsten, die Stadt betreffenden Themen und Fragestellungen durchgeführt werden. Die Ergebnisse dienen der Stadt als Meinungsspiegel der Stadtgesellschaft und als Beratungselement bei Vorhaben oder Entscheidungen.
Ideenwerkstatt/Planungswerkstatt
Bei einer Ideen- oder Planungswerkstatt können Bürger:innen ihre Interessen und Ideen in einen Planungsprozess einbringen und werden dabei von professionellen Planer:innen unterstützt. Die Werkstatt besteht meist aus einem ein- bis zweitägigen Verfahren mit unterschiedlichen Methoden, die zur Ergebnisfindung beitragen sollen. Der Ablauf gliedert sich in mehrere Phasen, in denen Ideen kreativ erarbeitet, gemeinsam hinterfragt, selektiert, ausgewählt und die besten Ideen schließlich umsetzungsreif gestaltet werden.
Ideenwettbewerb
Bei einem Ideenwettbewerb können Bürger:innen ihre Ideen für ein bestimmtes Projekt oder eine spezielle Fragestellung einreichen. Alle eingereichten Ideen werden anschließend von einer Jury geprüft und anschließend bewertet. Am Ende werden die Sieger:innen ausgewählt und potentiell prämiert.
Open Space
Die Open Space Beteiligung ist abgeleitet aus der Erfahrung, dass auch aus den eigentlichen Pausen von Veranstaltungen durch den Austausch der Teilnehmer:innen effektive Ergebnisse resultieren. Bei Open Space Formaten sind daher Inhalt, Richtung und Verlauf nicht vorbestimmt und werden von den Teilnehmer:innen selbst gewählt. Auch die Bildung von Kleingruppen, die Wahl von Methoden und alle weiteren Entscheidungen, werden von den Teilnehmer:innen selbst getroffen. Vorgegeben werden lediglich Ort, Zeit, Dauer und Leitthema der Veranstaltung. Die Veranstaltungsatmosphäre soll der einer Pause gleichen und eine ungezwungene, freie und offene Atmosphäre schaffen.
Planning for Real
Beim „Planning for Real“ soll sich „Aktiv für den Ort“ gemacht oder „der eigene Ort in die eigene Hand“ genommen werden. Ziel ist es, einen Ort neu zu gestalten und dazu mit den betreffenden Bürger:innen direkt vor Ort ins Gespräch zu kommen. Dazu wird von der Stadt ein dreidimensionales Modell des Istzustands des betreffenden Orts erstellt. Dieses Modell wird anschließend öffentlich ausgestellt und diskutiert. Bürger:innen können sich vor Ort über die Lebens- und oder Wohnverhältnisse austauschen, ihre Meinungen und ihr Feedback visualisieren oder verschriftlichen. Anschließend folgt eine Veranstaltung, in welcher Stärken und Schwächen abgewogen und Arbeitsgruppen zur Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse gebildet werden. Am Ende steht ein konkreter Aktionsplan. So sollen durch das gemeinschaftliche Zusammenarbeiten von betroffenen Bürger:innen Expert:innen, Entscheidungsträger:innen und Verwaltung, Unternehmen und lokalen Interessengruppen zunächst die Defizite und Potentiale vor Ort ermittelt, Handlungsschwerpunkte erarbeitet und schließlich die Lebensqualität verbessert werden.
Planungswerkstatt/-workshop
Die Planungswerkstatt greift bspw. die Ergebnisse aus einer vorangegangenen Ideenwerkstatt auf mit dem Ziel, diese konkreter auszuarbeiten und weiterzuentwickeln. Dazu werden die Ideen in der Planungswerkstatt erneut diskutiert. Die Ergebnisse können den Entscheidungsträgern anschließend als Beratungselement dienen und in weitere Entscheidungsprozesse einfließen.
Runder Tisch
Bei einem Runden Tisch kommen die Teilnehmer:innen im wahrsten Sinne des Wortes an einem Tisch zusammen und in Dialog miteinander, um eine von allen getragene Lösung zu einem bestimmten Problem oder Thema zu finden. Die Teilnehmer:innen können auch bspw. Vertreter:innen unterschiedlicher Interessengruppen sein, die gemeinsam ein kontroverses Sachproblem lösen möchten. Am Runden Tisch wird gleichberechtigt, ohne Hierarchien und auf Augenhöhe miteinander diskutiert und gearbeitet um einen Konsens zwischen widerstreitenden Interessen und Ansprüchen zu erarbeiten. Da das Ergebnis unter der aktiven Beteiligung aller Betroffenen hergestellt wurde, besitzt es im Idealfall eine große Verbindlichkeit.
Stadtteilforum
Das Stadtteilforum funktioniert wie das Bürger:innenforum (s. Bürger:innenforum), nur auf der Ebene von Stadtteilen.
Think Tank
Ein sogenanntes „Think Tank“ bezeichnet eine „Denkfabrik“, in der bspw. politische, soziale oder wirtschaftliche Konzepte bewertet werden, um Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik auszuüben.
World Café
Bei einem World Café kommen die Teilnehmer:innen an mehreren Tischen zu unterschiedlichen Themen und Fragestellungen miteinander ins Gespräch und können ihre Meinungen zu diesen austauschen. Die Atmosphäre ist dem Namen folgend locker und einem Kaffeehaus ähnlich. Die Tische können in mehreren Gesprächsrunden flexibel gewechselt werden, sodass sich immer neue Personenkonstellationen ergeben. Die „Tischdecke“ besteht aus einem Meta-Papier welches lediglich das Thema des Tisches vorgibt und dann mit den Gedanken der Teilnehmer:innen weiter gefüllt werden kann. Den Abschluss des World Cafés kann eine kurze Zusammenfassung aus den Gesprächen und Gedanken der verschiedenen Tische bilden.
Zukunftswerkstatt
Die Zukunftswerkstatt ist eine kreative Methode, um die Fantasie der Teilnehmer:innen anzuregen und mit neuen Ideen und Visionen passende Lösungen für gesellschaftliche Probleme oder Herausforderungen zu entwickeln. Aufgrund ihrer Offenheit und Kreativität eignet sich die Methode besonders in der entscheidenden Anfangsphase von Planungs- oder Veränderungsprozessen. Ein besonderes Ziel ist es, auch besondere und ungewöhnliche Ideen und Vorschläge zu entwickeln, daher lebt die Zukunftswerkstatt von der Kreativität und den Innovationen der Teilnehmer:innen. Zu diesen gehören neben Bürger:innen auch Interessenvertreter:innen und Expert:innen und Vertreter:innen aus Politik und Verwaltung. Der Ablauf gliedert sich in drei Phasen: 1. Kritikphase zur Bestandsaufnahme, Situationsanalyse und Problemerfassung, 2. Fantasiephase zur freien Entwicklung von Ideen und Visionen, zunächst noch ohne Realitätsabgleich und 3. Realisierungsphase zur Strukturierung der Ideen und Visionen aus Phase zwei, dem Prüfen ihrer Umsetzbarkeit, der Planung weiterer Handlungsschritte zur Verwirklichung und dem Festhalten konkreter Absprachen.
Zukunftskonferenz
Die Zukunftskonferenz ist eine Großgruppenkonferenz und quasi die große Variante der Zukunftswerkstatt. Mit den Teilnehmer:innen wird innerhalb von drei Tagen ein Konsens erarbeitet, wie eine wünschenswerte Zukunft in Bezug auf ein Thema aussehen soll und Maßnahmen zu deren Realisierung beschlossen. Ziel dieser Beteiligungsmaßnahme ist also nicht die Bearbeitung von Konflikten, sondern die gemeinsame Entwicklung einer von allen Teilnehmer:innen getragene Vision. Daher eignet sie sich besonders am Anfang von Prozessen oder in Phasen der Neu- oder Umorientierung. An der Konferenz nehmen sowohl Bürger:innen, also auch Interessenvertreter:innen und Expert:innen sowie Vertreter:innen von Politik und Verwaltung teil. Eine Zukunftskonferenz besteht aus fünf Phasen: 1. Reflexion der Vergangenheit, 2. Analyse der Gegenwart, 3. Entwicklung von Zukunftsentwürfen, 4. Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und 5. Planung konkreter Maßnahmen. Am Ende jeder Konferenz steht eine öffentliche Erklärung der geplanten Schritte und Ergebnisse.