Im Interview: Ulrich Rutzen – Er ist Leiter der gemeinnützigen Fahrradwerkstatt in Fallersleben
Herr Rutzen beginnen Sie gerne einmal ganz am Anfang! Wie ist es damals zu der Idee gekommen eine gemeinnützige Fahrradwerkstatt zu eröffnen?
Als die Flüchtlingswelle 2015 begann, wollten meine Frau und ich gerne helfen! Wir haben uns daraufhin an die Wolfsburger Flüchtlingshilfe gewandt und überlegt, was wir tun können. Es entstand der Fallersleber Unterstützerkreis. Schnell kam die Idee auf, die Menschen, die hier ankommen, dabei zu unterstützen in unserer Stadt mobiler zu werden. So haben wir, im Vergleich zu heute, unter sehr rudimentären Bedingungen angefangen die ersten Fahrräder aufzubereiten. Über die Jahre wurde die Nachfrage so groß, dass uns mittlerweile ein eigener Flügel in der Fallerslebener Flüchtlingsunterkunft für unsere Arbeit zur Verfügung gestellt wird. Hier finden sich die Werkstatträume, das Lager und unseren Aufenthaltsraum. Die Räumlichkeiten sind aus Gründen des Brandschutzes nicht für dauerhaftes Wohnen geeignet, aber für unsere Bedürfnisse gut geeignet!
Auch dank der Unterstützung der Margarete-Schnellecke-Stiftung konnten wir damals die nötigsten Werkzeuge und Gerätschaften für den Werkstattbetrieb erwerben.
Während ich mitschreibe, kommt ein Mann in die Werkstatträumlichkeiten und möchte wissen wo er die Ersatzteile abgeben kann. Das bringt mich zu meiner nächsten Frage: Wo kommen die Fahrräder her, die hier repariert und anschließend verkauft werden?
Alle unsere Fahrräder stammen aus Spenden der Bevölkerung. Viele wissen mittlerweile was wir hier machen und wir bekommen zum Glück regelmäßig Nachschub. Lediglich bei Kinder- und Jugendfahrrädern sieht es aktuell ein wenig mau aus. Diese Räder werden in der Regel innerhalb der Familie oder im Bekanntenkreis weitergegeben. Wenn dies also jemand liest, wo keine kleinen Füße mehr in der Familie auf das Laufrad bzw. das nächstgrößere Fahrrad warten, dann freuen wir uns darüber nach der Aufbereitung, ein Kind damit glücklich machen zu könnenJ Wir sind immer mittwochs von 15-18 Uhr in der Werkstatt, die auf dem Gelände des Flüchtlingsheim Fallersleben auch gut ausgeschildert ist.
Verschenkt ihr denn die Fahrräder an bedürftige Menschen?
Nein! Am Anfang haben wir das mal gemacht, aber schnell gemerkt, dass die Wertschätzung für die Fahrräder dann nicht gegeben ist. Leider ist das wie überall in unserer Gesellschaft so: Was nichts kostet, ist den Menschen in der Regel auch nichts wert. Also haben wir anfangen einen kleinen Obulus für die Fahrräder zu nehmen. In der Regel sind es so 20- 40 €. Das passt gut zum Geldbeutel unserer Kunden – es ist erschwinglich, aber eben auch nicht geschenkt!
Was macht ihr denn mit dem eingenommenen Geld, wenn ihr die Fahrräder gespendet bekommt?
Unser Erlös fließt zum einen in die Beschaffung von notwendigen Ersatzteilen, oder neuen Werkzeugen, die wir für die Reparatur bzw. Überholung der Alträder benötigen. Den Rest spenden wir. In der Vergangenheit z.B. an das Wolfsburger Frauenhaus, die Wolfsburger Flüchtlingshilfe, das Kinderhospiz Löwenherz und Hilfsprojekte für die Ukraine.
Das klingt neben der Werkstattarbeit auch nach einigen Bürotätigkeiten. Wie lange wollen Sie das noch machen?
Solange ich kann (lacht). Eigentlich sollte das Ganze hier ja eine temporäre Geschichte sein, aber die Nachfrage ist ungebrochen uns macht das ganze viel Spaß und so machen wir einfach weiter. Wir, das sind außer mir Hans, Andreas, Dieter, Michael, Gegham und Claus, sind hier mittlerweile ein gutes Team und über die Jahre zu Freunden geworden, sodass sich das hier für uns gar nicht wie Arbeit anfühlt, sondern eher wie ein Hobby. Nebenbei leisten wir hier auch einen kleinen Teil Integrationsarbeit, denn unsere Fahrradwerkstatt ist sowas wie eine gelebte Begegnungsstätte, wo wir uns Grüßen und unseren Kunden auch beibringen bitte und danke zu sagen.
Was ist denn über all die Jahre gesehen ihr schönstes Erlebnis hier in der Fahrradwerkstatt gewesen?
Ich glaube unser Mitarbeiter Gegham! Gegham kommt aus Armenien und hat uns damals angesprochen, ob er unser Werkzeug nutzen darf, um sein Fahrrad hier zu reparieren. Und als er mit seinem Rad fertig war, hat er bei den anderen Rädern einfach weitergemacht. So ist er zu einem festen Mitglied in unserem Team geworden. Er ist ein richtig guter Schrauber und bei uns mittlerweile für die „Spezialfälle“ zuständig – er kriegt die Schrauben gedreht, bei denen wir schon längst aufgeben hätten (lacht). Er hat über die Jahre so gut Deutsch gelernt, dass wir ihm ein Mini Job beim örtlichen Tennisclub besorgt haben. Mit diesem und seiner Arbeit bei uns ist er gut beschäftigt. Ich finde Gegham ist echtes Vorbild und seine Geschichte ein gutes Beispiel wie echte Integration funktioniert!
Sucht ihr denn sonst noch Verstärkung für euer Team?
Immer! Bei uns kann sich jeder melden, der ein bisschen handwerkliches Talent oder zumindest Interesse an unserer Tätigkeit hat. Wir freuen uns über jede helfende Hand!
Damit kommen wir zu unserer Abschlussfrage. Warum alle die Jahre des ehrenamtlichen Engagements?
Ja warum macht man sowas? Ich war schon immer gerne mit Menschen zusammen und hatte immer Freude dabei anderen zu helfen. Darüber hinaus sind hier über die Jahre aus Mithelfern echte Freunde geworden, sodass wir auch oft gemeinsam Freizeit miteinander verbringen wie z.B. uns zum Grillen zu treffen. Unter ältester Mitarbeiter ist 77 und er, genauso wie alle anderen im Team, lernen bei unserer Arbeit hier immer noch etwas dazu – nicht nur beim Reparieren der Räder, sondern auch sprachlich. Wir können hier zumindest rudimentär in englisch, russsisch bzw. ukrainisch, armenisch und auch ein bisschen polnisch die Kunden beraten. Alles in allem macht es einfach Spaß!